Zukunftswerkstatt Radionachrichten III: Altes Handwerk, neue Technik.

Die Maschine spricht, Radiomacher erzählen.
Oder: Nachrichten mit neuem Blick und neuem Sound.
Teil 2

„Das ist schon eine existenzielle Revolution. Das komplette Radio muss sich verändern.“ So formulierte es einer der Teilnehmer am Ende der Zukunftswerkstatt Radionachrichten in Berlin. Denn nach drei Tagen voller Vorträge und Experimente war klar:

Das heißt aber auch: Es wird vermutlich wenig bleiben, wie es war.

Denn neue Audio-Technik macht mehr möglich, aber auch nötig. Nachrichten werden viele Hörer künftig zum Beispiel via Smartspeaker hören. Und die sind eben nicht nur Radiogeräte, sondern Kommunikationsmaschinen. Hörer werden sie nach Nachrichten fragen und Einfluss nehmen wollen.

Das heißt: Nachrichten müssen frei kombinierbar und einzeln abzurufen sein. Wie das gehen kann, zeigte sich im ersten Workshop der Zukunftswerkstatt .

Experimentierfreudige HörfunkerInnen aus ganz Deutschland: Die dritte Zukunftswerkstatt Radionachrichten.

Doch der Wandel wird Nachrichtenmachern im Radio noch mehr abverlangen, weil

  • Podcasts auf Wunsch abrufbar und erzählerischer sind als Radio.
  • Stimmsynthese-Tools vielleicht bald Radiomacher ersetzen werden.
  • „das Netz“ immer stärker bestimmt, was überhaupt von Interesse ist.

Wie also könnten Radionachrichten künftig klingen? Die TeilnehmerInnen der Zukunftswerkstatt haben auch dazu experimentiert: 

Workshop 2: Nachrichten im erzählerischen Podcast-Style.

Die Rahmenbedingungen:

Im Workshop mit Nele Heise haben die TeilnehmerInnen viele Podcasts gehört und festgestellt, dass die oft nahbarer, persönlicher und im Wortsinn ansprechender klingen als Radioproduktionen. Sie haben Nachrichtenpodcasts von Verlagen gehört, aber auch klassische „Laberpodcasts“. Danach sollten die Radiomacher selber ein Format entwickeln und ausprobieren.

Doch was so aufgeschlossen begann, bekam schnell einen Dämpfer.

Der Meta-Nachrichten-Podcast 

Ein Teil der Gruppe wollte einen Meta-Podcast machen, also einen Talk über ihre Arbeit als Radionachrichtenredakteure.

Die Idee:

  • Den HörerInnen erklären, wie Nachrichten im Radio entstehen.
  • Vorbild war der DLF-Nachrichtentalk „Die Nacht in der Nachrichtenredaktion“.
  • Der Produktionsaufwand sollte gering, der Talk deshalb eine Art Übergabegespräch beim Schichtwechsel sein.

Die KollegInnen stellten sich also ins Studio und besprachen ihre Planungen und Sichtweisen und ließen die Aufnahme mitlaufen. Das Ergebnis erschreckte die Gruppe. Den MacherInnen fiel nämlich auf, wie sehr ihre internen Gespräche von Fachtermini und Insider-Talk durchzogen sind. Ein unbedarfter Hörer würde da wenig verstehen. Wirklich freundschaftlich, vertraulich, nahbar klang der Podcast auch nicht. Das Urteil stand also schnell fest: So entsteht kein gelungener Nachrichten-Podcast. Die KollegInnen löschten ihren Test-Talk umgehend.

Ihr Fazit:

  • Ein Nachrichten-Podcast muss mehr sein als „einfach ein Gespräch mitschneiden.“ „Klar, wir können stundenlang über alles reden: Leadsätze, Themenauswahl, Sendungsaufbau. Aber es hat nicht funktioniert. Man braucht einen, der den Faden führt.“
  • Der Rollenwechsel von der Nachrichtenredakteurin/sprecherin zur Podcast-Persönlichkeit ist schwierig. Statt Präsentator ist man plötzlich Host. Ist das überhaupt denkbar ohne Konflikte?
  • Voraussetzung ist eine echte Vertrautheit zwischen den Hosts. „Man kann nur cool und pointiert sein, wenn man weiß, wie der andere reagiert.“
  • Vermutlich nötig: Stärker vom Hörer her denken. Mit Einbindung. Also: Konkret Hörerfragen beantworten. Vielleicht auch Anrufe. Oder Rückmeldungen vom Hörerservice auswerten.


Der Stadt-Land-Nachrichten-Podcast

Diese Gruppe setzte sich schnell ein konkretes Thema.

Die Idee:

  • Zwei Redakteure blicken aus gegensätzlichen/widersprüchlichen Perspektiven auf die Nachrichten der Woche. In diesem Fall: eine aus Berlin, einer aus Brandenburg.
  • Ziel: Reibung zu vermitteln, die über das normale Nachrichtengeschäft hinausgeht.
  • Der Ton soll freundlich frotzelnd sein. Weg von den trockenen Nachrichten. Stattdessen: Blick dahinter und Einblicke in die persönlichen Sichtweisen der Redakteure.
  • Wichtig: Rolle als seriöser Nachrichtenredakteur darf nicht grundsätzlich Schaden nehmen. Redakteure sollen aber mit ihren Persönlichkeiten rüberkommen

Die Reaktionen:

  • „Ich hätte das Ding abonniert.“ „Hat mich sofort reingezogen.“
  • Nachrichtliches Topthema ist klar erkennbar aber mit mehr Nähe transportiert.
  • „Allein, dass Ihr rausgegangen seid: Super.“
  • „Es ist ein Glücksfall, dass da bei euch beiden schon ne schöne Dynamik da ist.“
  • Die Blickwinkel sind sofort klar. Städter vs. Provinzler. Wird gleich nachvollziehbar. Dürfte vielleicht noch etwas streitlustiger sein.
  • Gut: Persönlichkeit ist nicht nur Betroffenheit. Persönlichkeit entsteht über die unterschiedlichen Perspektiven. Dennoch: „Würde gern noch mehr darüber erfahren, ob und wie einzelne Nachrichten/O-Töne Euch berührt/bewegt haben.
  • Tonfall dürfte noch intimer und näher sein. Klingt noch ein wenig nach Newstalk.
  • Community gut mitgedacht: Typisch podcastiger Aufruf mitzumachen: „Wenn Sie Fotos haben, schicken Sie uns doch was.“
  • Typisch für Podcasts: Hinweis auf die „Shownotes“ mit weiteren Infos.
  • „Wir warten auf die Markteinführung.“ :)

Workshop 3: Nachrichten mit synthetischen Stimmen.

Die Rahmenbedingungen:

Im Workshop mit Katharina Thoms und Dietz Schwiesau sollten die TeilnehmerInnen ausloten, wo im Hörfunk Stimmsynthese zum Einsatz kommen könnte und wie sinnvoll das ist. Es ging dabei speziell um Stimmsynthese-Tools, die es erlauben, die Stimme real existierender Personen nachzubauen. 

Es ging also um medienethische Aspekte, aber auch um einen ersten Test mit dem einzigen Stimmsynthese-Tool, das derzeit im Netz verfügbar ist: Lyrebird.

Fazit:

    Stimmsynthese kann die Radioarbeit an vielen Stellen erleichtern, birgt aber auch Gefahren. Im Laufe des Workshops entstand folgende Übersicht:

 

Die Überlegungen orientierten sich dabei an einer Umfrage, die bereits im Herbst 2016 in diesem Blog online ging und weiterhin Antworten sammelt.

Wichtiges Fazit der WorkshopteilnehmerInnen:

Hörfunker sollten früh Spezialisten für Audio-Verifikation werden und selbst Verfikationstechniken vorantreiben. Denn nur wer transparent mit möglicherweise künstlich hergestellten Tönen umgeht und Möglichkeiten zur Überprüfung bereit stellt, kann glaubwürdig bleiben.

    Folgende Nachrichtensendung entstand im Workshop komplett aus den synthetisierten Stimmen der TeilnehmerInnen:

Zur Erklärung:

Die Sendung wurde auf Englisch produziert, weil das eingesetzte Tool eine kanadische Entwicklung und auf englische Sprachwiedergabe getrimmt ist. Die TeilnehmerInnen haben eine Browserversion des Tools genutzt, mit der man nach Angaben des Herstellers seine eigene „digitale Stimme erschaffen“ kann.

Die Reaktionen:

Nachrichten „mit Internetanschluss“

Die Rahmenbedingungen:

Im Workshop mit Jost Langheinrich sollten die die TeilnehmerInnen eine gemeinsame Nachrichtensendung entwickeln, die stärker vom und fürs Internet denkt. Sie hatten dafür einen Tag lang Zeit, nutzten also die Themenlage des Tages und simulierten eine aktuelle Redaktion. Am Ende wurde eine Sendung produziert.

Die Idee:

  • Themen von vornherein radiophon UND online denken.
  • Themen aus dem Radio im Internet weiterdrehen und umgekehrt.
  • Die übliche Routine umdrehen: Themen erst fürs Netz denken, dann fürs Radio.
  • Aus „Darüber spricht das Netz“ wird „Darüber redet das Radio“.
     

Die Reaktionen:

  • „Mir fehlte die Innovation. Das Neue ist nicht hörbar.“
  • „Das ist leider eine normale Radiosendung geworden. Es ist scheint leider nicht wirklich durch, was wir alles im Netz machen.“
  • „Mir waren die Online-Verweise viel zu viel“ „Ist es wirklich nötig, sich so tot zu teasen. Müssen wir nicht selbstsicherer sein, die online Inhalte lassen wir da und nur das besondere teasen?“
  • Radio und Internet ist nicht nur eine Verweisbeziehung. Es geht auch darum, Material aus dem Netz zu generieren, zum Beispiel O-Töne, die User hochladen. Darüber muss das Radio wieder zurückverweisen auf das Netz.
  • Beispiel-Thema Diesel: Wollten das im Radio wie einen Facebookpost denken, mit fünf Stichpunkten, dann ergänzend dazu das Hintergrundgespräch.
    Wie lassen sich Radionachrichten und Netz enger verzahnen? Wie entwickelt man Themen hörbar online? Gar nicht so einfach.
  • Dennoch interessante Erfahrung in der Gruppe: „Wir haben das Denken umgedreht. Wir haben erst das Video gedacht. Was müsste da erklärt sein? Daraus ist erst ist der Radiotalk entstanden.“
  • Man hört leider aus der Sendung nicht raus, was an Internetüberlegung drinsteckt.
  • Beispiel Wetter: Hatten überlegt, die Daten der Streudienste im Sendegebiet zu nutzen, um eine interaktive Karte zu machen, die zeigt: Wo ist schon gestreut, wo nicht. Im Radio müsste das aber dann wohl noch packender kommuniziert oder vielleicht explizit hörbar werden: „Wir fahren jetzt mit unseren interaktiven Streuwagen von A nach B“.
  • Lehre daraus: „Wir müssen verstehen, wie die jeweiligen Kanäle funktionieren. Das ist wichtig.“
  • Für mich ist der Plan nicht aufgegangen, weil wir zu wenig wissen, wie die Plattformen laufen
  • Grundsätzliches Problem: Radiomacher sitzen in den Redaktionen nach wir vor oft getrennt von den Onlinern. Themen gemeinsam denken und entwickeln geht dann nicht.

Und jetzt?

Diese Zukunftswerkstatt war aufregend und experimentell wie keine zuvor. Sie war aber auch so uneindeutig und bewegend wie keine zuvor. Denn in allen Workshops zeigte sich: Für die Radionachrichten steht an vielen Stellen ganz Grundsätzliches auf dem Prüfstand. Ihr Selbstverständnis. Ihre Herangehensweise. Ihr Themenauswahl. Ihre Sprache. Ihre Verbreitungswege.

Was (s)ich in den Radionachrichten ändern muss? Die obligatorischen Schlussfrage bei der Zukunftswurkstatt.

Das Neue auszuprobieren und Chancen zu nutzen, ohne Altes und Bewährtes in Bausch und Bogen zu verwerfen, wird die Herausforderung der nächsten Jahre. Oder eher: Monate. Denn auch das wurde klar: Die Entwicklung rast an gleich mehreren Ecken und Enden. Bis zur nächsten Zukunftswerkstatt bleibt also wohl nur ein Wimpernschlag. Bis dann!

 
Disclosure: Sandra Müller, die Betreiberin dieses Blogs, wird von der ARD.ZDF medienakademie dafür bezahlt, die Zukunftswerkstatt Radionachrichten publizistisch zu begleiten.

Teil 1 der Zusammenfassung finden sie hier:

Zukunftswerkstatt Radionachrichten III: Pioniere gesucht.

Die Ergebnisse und Ideen vorangegangener Zukunftswerkstätten finden Sie hier im Blog.
Aktuelle Diskussionen zum Thema laufen unter #newsneu.

4 Antworten auf „Zukunftswerkstatt Radionachrichten III: Altes Handwerk, neue Technik.“

  1. Also das mit der Stimmsynthese habe ich mir angesehen und auch angehört. Ich habe da aber keine Bedenken, dass dies jemand „missbrauchen“ könnte. Immerhin ist bei diesen aufnahmen ganz klar erkennbar, dass es sich um künstliche Stimmen handelt. Ich habe übrigens schon weitaus bessere Stimmsynthesen gehört, wobei das keine reine Stimmsynthese war, sondern mit Hilfe von Samples funktioniert hatte. Das war dann schon recht natürlich, aber immer noch klar als Computerstimme erkennbar.

  2. Vielen Dank für deinen Beitrag, die Workshops wären auch für mich spannend gewesen. Ich will auch mit dem Podcasten anfangen, denn ich war früher selber immer von den Beiträgen (Nachrichten im erzählerischen Podcast-Style) in B5 Aktuell so extrem gefesselt. Dank des ausführlichen Beitrags ist es fast so, als wäre man selbst dabei gewesen und das hat mich motiviert, jetzt endlich loszulegen.

  3. Der Stadt-Land-Nachrichten Podcast wäre für Österreicher sehr interessant. Hier sind die Unterschiede meist gravierend, um ehrlich zu sein. Deshalb wäre es eine gute Idee, mal diese gegensätzlichen Meinungen zu bestimmten Themen zu erörtern.

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