Manches, was wir Radiomacher machen, halte ich für frag- und diskussionswürdig.
Es gibt die Dinge, über die rede ich als Radiomacherin nicht gerne. Dennoch tue ich es. Seit Jahren. Ich rede über das, was hinter den Kulissen passiert. Darüber, wie wir ganz praktisch Radio machen, manchmal mit Methoden, die ich fragwürdig finde. Denn in meinem inzwischen über zwanzigjährigen Berufsleben als Hörfunkerin habe ich in ganz unterschiedlichen Sendern, Seminaren und Redaktionen immer wieder Dinge erlebt, die ich für bedenklich halte. Beispiele:
- Eine Korrespondentin beschreibt reportagig, was sich bei einem lang erwarteten Großereignis abspielt – mit Details, genauen Schilderungen, Szenen. Die Aufnahmezeit zeigt aber: Die Beschreibung wurde gemacht, als das Ereignis noch gar nicht begonnen hatte.
- Ein Moderator zerschneidet das höchst emotionale, persönliche Interview eines Kollegen. Darin hatte eine Frau ihre tragische Familiengeschichte erzählt. Der Moderator holt sich nur die Antworten. Auf Sender spielt er das Interview nach, als hätte er selbst mit der Frau gesprochen.
- Im Programm läuft ein Beitrag über eine sendereigene Veranstaltung, in der der Bürgermeister sagt: Toll war’s. Die Produktionszeit zeigt aber: Da hatte die Veranstaltung noch gar nicht begonnen. Und auf Nachfrage stellt sich raus: Der Reporter hat den Bürgermeister tatsächlich angeleitet: Tun Sie doch mal so, als ob….
- Ein Kollege ruft einen Star an vor seinem 50sten Geburtstag und sagt: „So. Und jetzt lassen Sie uns mal so tun, als wär die Party schon vorbei. Schildern Sie doch mal wie es war.“ Also: Wie es gewesen sein wird.
- Eine Redakteurin zieht einen vier Jahre alten Beitrag aus dem Archiv und schickt ihn auf Sendung, weil da schon mal reportagig über ein Projekt berichtet wurde, das durch eine aktuelle politische Diskussion wieder interessant erscheint. Auf Sendung ist in der Anmoderation von „jetzt“ die Rede. Weder mit dem Reporter noch mit den Protagonisten wurde Rücksprache gehalten, ob das Projekt noch aktuell ist und ob die Gesprächspartner noch leben(!).
- Der Höhepunkt einer Höreraktion – der 100.000ste Anrufer – soll unbedingt morgens in der Primetime auf Sendung. Also werden Antworten des „100.000sten“ Anrufers schon am Vorabend aufgezeichnet. Die spielt der Moderator morgens als Gespräch nach. Vorher hat er aber noch den spannenden Aufruf platziert: „So, die 100.000 ist in Sichtweite. Rufen Sie an. Die machen wir jetzt voll.“
„Das kenn ich auch!“
Wie gesagt: Alles Fälle, die ich selbst erlebt habe. Und mehr als die berühmten „Einzelfälle“. Denn 2007 hat sich bei einer Diskussionsrunde bei den Tutzinger Radiotagen gezeigt: Viele Radiomacher, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat, kennen solche Situationen.
Jede/r hatte ähnliche Fälle zu erzählen und viele erzählen sie uns bis heute. Denn aus der Diskussionsrunde von damals wurde noch in Tutzing die Initiative fair radio, ein loser Zusammenschluss von RadiomacherInnen und -hörerInnen.
Gemeinsam werben wir für mehr Glaubwürdigkeit im Radio und wünschen uns unter anderem weniger Inszenierungsfakes. Wir schildern und diskutieren Fragwürdigkeiten und sammeln Ideen, wie man es anders/besser machen könnte.
„So macht man das.“
Zugegeben: Nicht immer machen wir uns damit Freunde. Und nicht selten werden wir böse beschimpft. Als ahnungslose Nestbeschmutzer und wirklichkeitsfremde Besserwisser. Schließlich sei das, was wir kritisieren, allgemein üblich im Radio.
Und die Kritiker haben ja Recht: Die geschilderten Inszenierungsmethoden haben das Radio längst durchdrungen. „So macht man das eben.“ Für mich macht sie das aber nicht weniger fragwürdig.
„Es geht auch anders.“
Ich jedenfalls bin überzeugt: Radio machen geht auch ohne Fakes. Ohne Hörertäuschung. Journalistisch sauber. Und ohne das Risiko aufzufliegen. Und deshalb rede ich über solche Methoden. Bevorzugt mit den KollegInnen. Besonders gerne mit jungen KollegInnen. Auf dass sie wissen: Das macht „man“ so, aber sie dürfen und können es auch anders machen.
Dieser Artikel erschien zuerst im Radioblog des dokublog.
Du hast 100%ig recht: Nicht alles, was üblich ist, ist auch richtig. Ein Blick in die Geschichte zeigt das. Zu Zeiten Heinrich des VIII. wurden bei Banketten die Essensreste einfach hinter sich geschmissen. Das macht so heute auch keiner mehr. ;-)
Leider wird im Radio doch relativ viel gefaket, und das z.T. nicht mal gut, so dass der halbwegs kundige Zuhörer das sogar hört. Nur stellt sich die Frage der Definition von Fake. Die oben genannten Beispiele fallen m.E. jedenfalls da drunter. Aber es gibt sicher auch Punkte, die in anderen Diskussionen erwähnt wurden, die ich nicht dazu zählen würde, seien es Maßnahmen, die zu einer gewissen Rechtssicherheit führen oder kleine Vorproduktionen, die in einer echten Live-Situation wesentlich aufwendiger, wenn nicht gar unmöglich zu realisieren sind.
Vielleicht noch eine Anregung, das Grundproblem auch von der anderen Seite anzugehen. Medienbildung (in der Schule) sollte ebenfalls beinhalten, Fakes zu erkennen. Bei allem technischen Fortschritt: Mit ein bisschen Übung und einem geschulten Gehör hört man viele Fakes nach wie vor.
Zutreffende Beschreibung eines Verfalls der guten Sitten im Hörfunkjournalismus. Für mich fängt das aber schon viel früher an, als von Dir/Ihnen beschrieben.
Warum sind auf vielen Wellen die Live-Gespräche und selbst die Live-Reportagen gescripted? Schon da gibt man etwas vor, was nicht ist.
Und man schaue sich nur mal die Tendenz bei vielen Sendern an, das vorhandene Material umzustricken. Beim WDR ist dies in vielerlei Form angedacht, andernorts wird es bereits gemacht. Die O-Töne werden aus den TV-Beiträgen herauskopiert und als eigener Beitrag in die Sendung gebracht. Statt Autoren machen dies dann besonders preisgünstig Producer. Von dem mehr als bedenklichen Umgang von Sendern mit Material aus youtube und Co ganz zu schweigen. Wer da sich noch ethisch korrekt einen Eindruck „vor Ort“ verschafft und dies auch so berichtet, ist ja fast schon blöd – oder einfach nur ein aufrechter Reporter/Journalist.
Stieß via Twitter auf diese Diskussion… und würde gerne ergänzen: Fakes sind inakzeptabel, damit verspielt Radio Glaubwürdigkeit. Aber beginnt der Verfall der guten Sitten wirklich schon, wenn man Live-Gespräche vorbereitet, in diesem Sinne also „scripted“? Ist es schon ein Fake, wenn sich Moderation und Reporter vorher auf Aspekte und Fragen einigen?
Für mich ist das Kollegengespräch eine Form, bei der Redaktion/Moderation und Reporter für die Zuhörenden etwas aufbereiten. Sich also vorher überlegen, wie sie den HörerInnen einen mitunter komplexen Sachverhalt so aufteilen, dass er im Gespräch verständlich und idealerweise auch unterhaltsam wird. Sie erbringen – wenn man so will – eine gemeinsame Dienstleistung für den Hörer, sind also „auf der gleichen Seite“. Das ist für mich der Unterschied zu einem Interview etwa mit Politikern, Managern usw.
Natürlich höre ich gelegentlich auch Kollegengespräche, die offenbar mangels Absprache eher einem Live-Wissenstest des Reporters gleichen. Oder man hatte den Eindruck, da reden zwei aneinander vorbei. Ob das dann aber authentischer, weil ungescripted und für die Zuhörer letztlich sinnvoller ist… da habe ich meine Zweifel.
Vielen Dank für die engagierten Kommentare. Es freut mich sehr, dass das Thema auf so viel Interesse stößt.
Denn genau darum geht es mir: Ums Diskutieren darüber, wo eigentlich die Grenze verläuft. Zwischen Betrug, Schummelei, verzerrter Inszenierung und sinnvoller Show.
Zugegeben: Meine Beispiele illustrieren schon gezielt Methoden, die ich persönlich für nicht mehr akzeptabel halte, und von denen ich glaube, dass auch andere das so sehen.
Dennoch wird nach meinem Eindruck in vielen Redaktionen selbst über solche Verstöße nur selten offen geredet. Selbst KollegInnen, die das so nie (mit)machen würden – und davon gibt es viele – machen sich oft nicht (mehr?) öffentlich dafür stark. Vermutlich, weil oft keine Zeit dafür ist. Weil man sich nicht beliebt macht, wenn man die Arbeitsweise eines/r Kollegen/in hinterfragt. Weil man nicht als korinthenkackerische Besserwisserin dastehen will. Geschenkt.
Und doch ist das, was ich geschildert habe, genau das, was „passiert“, wenn sich niemand mehr äußert. Wenn viele vieles hinnehmen und einfach senden, was halt so kommt und geplant ist. Und genau das tut mir weh. Ich wünsche mir einfach mehr kritische Auseinandersetzung. Und natürlich heißt das dann auch mal: Unterschiedlicher Meinung sein.
Mir geht es jedenfalls wie dem Kollegen Marksteiner: Gescriptete Kollegengespräche finde ich nicht per se fragwürdig. Denn ein Gespräch zu planen, durchzukomponieren, auf optimale Verständlichkeit und Logik zu trimmen, finde ich oft sogar journalistisch geboten.
Dennoch halte ich es für wichtig, dass eine Redaktion eine gemeinsam Haltung dazu entwickelt. Also: Welche Formen von Inszenierung halten wir für noch gangbar? Welche nicht? Wo schadet was unserer Glaubwürdigkeit? Und was lässt sich wie besser machen? Welche Best Practice Beispiele gibt es? Und jede/r einzelne in der Redaktion sollte die Möglichkeit haben, so eine Diskussion anzustoßen.
Darüber hinaus braucht es klare Verfahren, wie mit Verstößen umzugehen ist. Auch das fehlt in vielen (Radio)Redaktion. Das ist nicht nur meine Erfahrung.
Und natürlich wird es immer Grenzfälle geben, bei denen die einen sagen „Das ist ok so!“ und die anderen „Das geht gar nicht!“. Aber diese Grenze immer wieder aufs Neue und im Alltag auszuloten, das muss das Ziel sein. Fürs Radio. Unser Radio. Weil es das wert ist.
@J_Marksteiner @Sandra Müller / Bei gescripteten Gesprächen meine ich weitgehend oder komplett vorgetextete „Gespräche“. Die beginnen mit „Hallo …“, gehen über „Ach so …“ und enden mit „Danke für das Gespräch“ – Das keines war! Wer das nicht zu kennen glaubt, höre sich mal die durchgestylten Wellen im Privatfunk wie auch bei den ÖR an. Das ist die Norm vielerorts – leider. Ich rede nicht über eine redaktionelle Vorbereitung, die natürlich inhaltliche Gliederung usw. umfasst.
@Paul Reifferscheid: Okay, dann habe ich das falsch verstanden…
…und bin froh, dass ich diese Form bei den ÖR-Wellen, mit denen ich bislang zu tun hatte, noch nicht kennen gelernt habe.
Schlage vor, wir einigen uns also auf einen Unterschied zwischen „Chapeau“ und „ach-so-gescripted“ ;-)