Wie viel bleibt hängen von Radionachrichten?
Was Forscher fragen. Was Hörer sagen.
Und wie überraschend (manche) Radiomacher reagieren.
Wie oft eigentlich noch müssen wir reden über Verständlichkeit? Schließlich ist es doch altbekannt: Radio muss verständlich sein. Wir müssen schreiben, texten, sprechen fürs Hören. Aber tun wir’s? Und noch viel wichtiger: Was heißt das überhaupt? Verständlich sein im Radio?
Die Sprechwissenschaftler Ines Bose, Heiner Apel und Anne Schwenke erforschen genau das. Gemeinsam mit Dietz Schwiesau, dem Wortchef von MDR Sachsen-Anhalt. Und ganz praktisch.
Oh Gott! Heiner Apel fragt, wovor jeder Radio-Newser Angst hat: „Was behalten Hörer von unseren Nachrichten?“ #newsneu im Härtetest.
— Sandra Müller (@radiomachen) 23. Mai 2014
Einen Teil ihrer Antworten haben Sie bei der Zukunftswerkstatt Radionachrichten vorgestellt.
Und ich sag’s mal banal:
Die Forscher haben herausgefunden, dass Hörer einfache Texte besser verstehen als komplizierte. Und dass „gut“ Gesprochenes besser verstanden wird, als „schlecht“ Gesprochenes (die Forscher nennen es korrekt „sinnvermittelnd“ und „nicht sinnvermittelnd“ gesprochen). „Ach ne??“, seufzen die Durchblicker aus der letzten Reihe. „Das muss man doch nicht erforschen!“
Muss man eben doch. Ganz einfach, weil erst der empirische Test unter kontrolliert wissenschaftlichen Bedingungen zeigt, wie (schockierend) groß die Unterschiede sind. Also wie wenig Hörer verstehen, wenn wir Nachrichten nicht richtig rüberbringen und wie viel, wenn wir es richtig machen.
Die Forscher haben dazu zwei „Extrem-Nachrichtensendungen“ fabriziert. Eine mit langen (Neben-)Sätzen, vielen Bezügen, Fachbegriffen und Synonymen. Und eine mit kurzen Sätzen, klaren Schritt-für-Schritt-Aussagen und sich wiederholenden Begriffen.
Eine der Meldungen war diese hier:
Komplizierte Meldung
Zu einem Führerscheinentzug von drei Monaten wegen Fahrens mit überhöhter Geschwindigkeit hat das Amtsgericht München den Präsidenten des FC Bayern München, Franz Beckenbauer, verurteilt.
Im Rahmen einer Kontrollmaßnahme hatte die Polizei mit einem mobil eingesetzten Lasermessgerät festgestellt, dass der „Kaiser“ in einer Autobahn-Baustelle mit einem Tempo von 155 Stundenkilometern pro Stunde unterwegs war
Im Verlauf des Prozesses bezeichnete der frühere Teamchef der deutschen Fußballnationalmannschaft sein zu schnelles Fahren als Ausnahmen, weil er sonst seinen Flieger nach Südafrika verpasst hätte.
Als Berater unterstützt der Vizepräsident des DFB das Organisationskomitee der nächsten Fußballweltmeisterschaft in Südafrika.
Dem entgegnete das Amtsgericht, dass sich auch der Verkehrsteilnehmer, der wichtige Termine habe, an die Verkehrsregeln halten müsse.
Einfache Meldung
Franz Beckenbauer muss für drei Monate seinen Führerschein abgeben. Das hat das Amtsgericht München entschieden.
Beckenbauer war auf der Autobahn zu schnell gefahren. In einer Baustelle wurde er geblitzt – mit 155 Stundenkilometern
Beckenbauer gab an, er sei nur ausnahmsweise schneller gefahren – sonst hätte er sein Flugzeug nach Südafrika verpasst.
Beckenbauer ist Präsident des FC Bayern München, In Südafrika berät er die Organisatoren der nächsten Fußballweltmeisterschaft
Das Amtsgericht erklärte, auch wer wichtige Termine habe, müsse sich an die Verkehrsregeln halten.
Und wer die beiden Fassungen gesprochen hört, merkt: Da liegen Welten dazwischen.
Nochmal: Das sind absichtlich auf extrem getrimmte Beispiele. Und schon möglich, dass die überzogen sind. Dennoch:
Wir alle hören Meldungen im Radio, die in Teilen so klingen. Jeden Tag.
Manchmal sind diese Meldungen dann auch noch wenig gelungen gesprochen. Mit schräg sitzenden Betonungen und versch(r)obenen Pausen. Dann jubeln die professionellen Sprecher und freuen sich: „Siehste. Deshalb braucht man uns. Wir sorgen dafür, dass Nachrichten auch ankommen beim Hörer.“
Stimmt. Aber nicht ganz. Denn – und jetzt wird’s spannend – Ines Bose und ihre Kollegen haben auch das getestet. Sie haben einfache Texte „schlecht“ und komplizierte Texte „gut“ sprechen lassen.
Dann haben sie Hörer (direkt nach dem Hören) gefragt: „Was habt ihr verstanden?“ Oder genauer: „Was von der Meldung habt ihr behalten? Schreibt doch mal auf, woran ihr Euch erinnert.“
Das Ergebnis:
Zwischen der einfach formulierten Meldung und der komplizierten liegen nicht Nuancen, sondern genau das Entscheidende. Verstehen oder nicht verstehen. Denn: „Franz Beckenbauer muss seinen Führerschein abgeben.“ Bei der komplizierten Meldung haben das nur halb so viele Hörer behalten wie bei der einfach formulierten. Und zwar (fast) unabhängig davon, ob die Meldung „gut“ oder „schlecht“ präsentiert wurde.
Das heißt im Klartext:
Verständlichkeit beginnt beim Schreiben. Nicht erst beim Sprechen. Und wenn wir nicht einfache Sätze machen im Radio, ist kaum was zu retten. Wenn wir nicht logisch nacheinander in kleinen Häppchen erzählen, haben wir zwar geredet, aber dem Hörer nix erklärt. Klarer kann das Ergebnis der Untersuchung nicht ausfallen.
Und doch erzählen die Forscher von ungewöhnlichen Reaktionen. Von Radiomachern und Nachrichtenredakteuren, die sich an den einfach formulierten Meldungen stören. Ihr Argument: Nachrichten in einfacher Sprache würden die Hörer verdummen. Die Nachrichten klängen nichtssagend simpel, nicht so bedeutend wie nötig und nicht so, wie Hörer das gewohnt seien. Deshalb: So (einfach) könne man Nachrichten nicht formulieren.
Erstaunlich, oder? Und ja: Für mich unverständlich.
Ines Bose ist Diplom-Sprechwissenschaftlerin und Professorin am Seminar für Sprechwissenschaft und Phonetik der Martin-Luther-Universität Halle (Saale). Sie trainiert und coacht SprecherInnen in den Medien und forscht zur Hörverständlichkeit von Radionachrichten.
Heiner Apel lehrt Kommunikation, Medienrhetorik und Sprecherziehung. Hat an der Universität Halle-Wittenberg diplomiert über die Verständlichkeit von Hörfunknachrichten. Er arbeitet an einer Dissertation zum Thema „Nachrichten sprechen – Nachrichten verstehen.“
Anna Schwenke ist Dipl.-Sprechwissenschaftlerin und Doktorandin der Sprechwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Sie arbeitet an einer Dissertation zum Sprechstil von Radionachrichten.
Disclosure: Sandra Müller, die Betreiberin dieses Blogs, wird von der ARD.ZDF medienakademie dafür bezahlt, die Zukunftswerkstatt Radionachrichten publizistisch zu begleiten.
Einfache Sprache im Radio ist wichtig, aber ebenso wichtig ist, dass die wichtigsten Informationen dabei bleiben. Ich erinnere mich, dass ich einmal im Radio eine Meldung zu Beckenbauer gehört habe, bei der man, wenn man den Kontext nicht zufällig gewusst hätte, hätte denken können, es wäre um den (Minister-)Präsidenten den Freistaates Bayern gegangen, nicht um den Präsidenten des Fußballclubs Bayern. Der Redakteur hatte einfach vorausgesetzt, dass der Hörer die Beckenbauer-Vorgeschichte schon kannte.
Allgemein beobachte ich bei Nachrichtentexten im Radio, dass die Entscheidung, welche Information der Redakteur überflüssig, da allgemein bekannt oder hier nicht relevant, und welche er für erklärungswürdig hält, ziemlich willkürlich getroffen wird – wenn nicht aufgrund von Faulheit oder Fehlannahmen gleich eklatante Fehler eingebaut werden. Da wären eventuell allgemeine Richtlinien hilfreich. Gleiches gilt für die sprachliche Vereinfachung – wenn der Grammatik derart simplifiziert wird, dass der Sinnzusammenhang verloren geht, leidet auch die Verständlichkeit. Das oben aufgeführte Beispiel ist allerdings ein klar positives.
Liebe/r/s „freiwild“,
Deine Befürchtung, es könnte durch „simplifizierte“ Grammatik in den Nachrichten der Sinnzusammenhang verloren gehen, teile ich nicht.
Denn gerade das belegt die hier beschriebene Studie ja: Einfache Wörter und einfach gebaute Sätze erleichtern das Verstehen.
Aber natürlich muss auch eine einfach formulierte Meldung, die richtigen Dinge einfach formulieren. Und da liegt das eigentliche Problem: Wer komplizierte Dinge einfach sagen will, muss erst mal selber klar (und unmissverständlich) verstehen, worum es geht. Das kostet Zeit. Zeit, die in vielen Nachrichtenredaktionen oft gar nicht bleibt.
Denn reden wir mal nicht von einer bunten Franz Beckenbauer-Meldung. Reden wir – zum Beispiel – von einer Meldung über die derzeitigen Entwicklungen im Irak. Die so zu schreiben, dass sie ohne Vorwissen auskommt und sofort in aller Klarheit verstanden wird ist extrem schwer.
Und doch geht es. Das beweisen die DLF-Kollegen, die Nachrichten in „leichter Sprache“ machen:
http://www.nachrichtenleicht.de/irak-bittet-um-hilfe.2042.de.html?dram:article_id=289470
Nun ist diese Meldung zugegebenermaßengwöhnungsbedürftig formuliert. Eben nach den (durchaus extremen) Regeln der „leichten Sprache“. Im normalen Radioprogramm wäre das in der Tat irritierend.
Und dennoch: Ich lese diese leichten Nachrichten gern, weil sie eine erstaunliche Klarheit erreichen. Und würden sich die „normalen“ Nachrichten dem wenigstens etwas annähern, fände ich das einen Gewinn.
Ich gebe aber zu: Die ganz große Hoffnung habe ich nicht.
Denn: Schon im Politik-Studium habe ich mich oft über deutsche Lehrbücher geärgert, die absolut unverständlich formuliert waren. Nahm ich stattdessen ein englisches, stellte ich fest: „Ui. Ist ja doch ganz einfach.“
Will sagen: Mir scheint das schon eine typische deutsche „Krankheit“. Diese Sorge: Etwas, was einfach gesagt und gleich verstanden wird, könnte nicht mehr wichtig genug wirken. Schade. Anders wär’s mir lieber. Und für’s Radio wär’s eine echte Chance. Motto: „Wir sind die, die verständlich sagen, was wie ist.“
Liebe Sandra,
„Nachrichten leicht“ ist ein tolles Angebot des Deutschlandradios. Da ich selbst relativ viel mit Leuten zu tun habe, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, habe ich das Portal schon oft empfohlen, und verfasse auch selbst regelmäßig Texte in bewusst „leichter Sprache“. Selbst halte ich die Einteilung in „leichte“ und „nicht leichte“ Sprache in dieser Absolutheit nur bedingt für zielführend, denn was „leicht“ ist, und was nicht, hängt immer davon ab, welches Zielpublikum man erreichen möchte, und dementsprechend davon, was man voraussetzen kann, inhaltlich wie stilistisch. Einem Wissenschaftler mag einen Artikel in der „Geo“ zu seinem Fachgebiet als „leichte Sprache“ empfinden, während derselbe Artikel für einen anderen Personenkreis eine unüberwindliche Hürde darstellen mag. „Nachrichten leicht“ ist kein schlechteres oder besseres Angebot als die Geo, es ist ein anderes, das eine andere Funktion ausfüllt.
Von daher hast Du mich in diesem Punkt falsch verstanden. Wenn ich mich gegen übermäßige Simplifizierung wende, dann nicht, damit die Texte „wichtig genug wirken“ oder damit sie „nicht gleich verstanden werden“, sondern damit sie verstanden werden. Und der beste Weg hierfür ist aus meiner Sicht nicht der vordergründig am wenigsten komplexe Text, sondern der dem jeweiligen Publikum und der Art des Mediums angemessenste. In der Praxis wird das immer ein Mittelweg zwischen Erster Klasse Grundschule und einem Aufsatz in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift sein, und bei einem „Geo“-Artikel wird der Mittelweg anders verlaufen als bei den SWR4-Nachrichten, dem DLF oder der Neuen Zürcher Zeitung.
Du beschreibst richtigerweise, dass man, um einen komplizierten Sachverhalt erst einmal richtig verstanden haben muss, um ihn vereinfachen zu können, und dass dies in der Tat im Alltag in einigen Redaktionen ein Problem darstellt. Zum Beispiel ist die Funktionsweise der Organe der Europäischen Union höchst komplex. Der Europäische Rat ist etwas anderes als der Ministerrat, und das Amt des Ratsvorsitzenden ist ein anderes als das des Kommissionspräsidenten, und dann gibt es noch das Europäische Parlament und dessen Präsidenten, den Europäischen Gerichtshof (EuGH), die Europäische Zentralbank und weitere außerhalb des EU-Rahmens existierende Insitutionen wie die OECD, OSZE, Europarat und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), die Nato… Selbst viele Journalisten verliere hier schnell den Überblick, und erst recht kann man vom Hörer nicht verlangen, all diese Institutionen zu kennen und auseinanderzuhalten. Eine europapolitische Meldung korrekt und radio-verständlich zusammenzufassen ist eine hoch anspruchsvolle Aufgabe, vielleicht sogar anspruchsvoller, als einen NZZ-Artikel hierzu zu verfassen. Denn wenn die Meldung am Ende zu kompliziert ist, versteht der Hörer nichts (da bin ich ganz bei Dir); wenn aber einfach alles, was mit Europa zu tun hat, unter „die EU“ oder „Brüssel“ oder „Europa“ zusammengefasst wird, oder Institutionen und Ämter wild durcheinandergeworfen werden („Europäischer Gerichtshof“ für den EMGR ist so ein Beispiel, oder „Chef der EU“ oder ähnliches), so wird die Meldung nicht verständlicher, sondern verfälschend, weil der zentrale Sinn des Ereignisses in der Meldung nicht mehr enthalten ist, ihn der Hörer somit nicht mehr erfassen kann, selbst wenn er die Meldung semantisch versteht. Meine subjektive Erfahrung ist, dass ich bei SWR-Nachrichten wesentlich häufiger das Gefühl habe, den Kernbestandteil der Nachricht nicht erfasst zu haben, als etwa beim NDR – eben wegen diesen der vermeintlichen Verständlichkeit geschuldeten Unschärfen und Auslassungen.
Ähnliches gibt es auch auf der sprachlichen Ebene. Grammatik strukturiert den Text. Geschachtelte Nebensätze oder ellenlange Bezeichner, durch die das Verb erst an 20. Stelle des Satzes rückt, sollte man im Radio vermeiden; aber wenn am Ende nur noch 5-8-Wörter-Hauptsätze mit Subjekt-Prädikat-Objekt-Struktur stehen, gehen Zusammenhänge genauso verloren. Abgesehen davon, dass die Texte dadurch langweilig werden.
Beim Ziel “Wir sind die, die verständlich sagen, was wie ist.” sind wir uns einig. Über die Mittel hierfür können wir uns gerne streiten.
Der einfache Beckenbauer ist hübsch – und trotzdem eine Zumutung. Warum? Weil der erste Satz unterstellt, jeder habe eigentlich zu wissen, wer dieser Kerl ist und warum er es bis in die Nachrichten schafft. Wenn es dann gesagt wird, ist alles zu spät. Nur noch albern belehrend. (Zumal die Zweifel, ob das denn nun eine Nachricht sei, eher bestärkt werden: Man hätte sich das Zuhören sparen können.)
Also, Einfachheit ja. Aber aus der Sicht des Souveräns. Der will gleich wissen, auf wen er sich einlässt, um zu entscheiden, ob er sich einlässt. Da beißt die Maus keinen Faden nicht ab.
Da ja nur eine begrenzte Sendezeit besteht, ist es gar nicht so einfach immer alle Informationen so zu verpacken, dass es jeder versteht. Einfache Sätze mit aneinandergereihten Fakten finde ich immer besser zu verstehen, als Ausschweifungen :-)
Viele Grüße
Björn