Von der Freude, Programmchefin zu sein.
Oder: Warum mich das Baukasten-Radio DIY.fm fasziniert.
Warum das für uns Radiomacher eine Chance ist.
Und was als nächstes kommen muss.
Ums gleich klar zustellen: Programmchefin sein, ist nicht mein Traumjob im Hörfunk. Nicht im wahren Leben. Nicht, um damit Geld zu verdienen. Aber daheim beim Frühstück, unterwegs im Auto und abends auf dem Sofa? Warum nicht?
Ich hab jedenfalls schon oft davon geträumt, mir ein neues Programm zu basteln aus der Playlist meines Lieblingsjazzsenders aus New Orleans und den Beiträgen „meines“ Regionalprogramms. Außerdem möchte ich auf meinem Kanal abends hören, was im NSU-Untersuchungsausschuss los war, aber auch Musik und Nachrichten aus meinem nächsten Urlaubsland empfangen. Und zwar: OHNE umzuschalten!
Kommt das Radio-Schlaraffenland?
Dieses Wunschradio nach Maß war bislang reine Fantasie. Jetzt wird die zum Teil wahr. Denn DIY.fm macht genau das möglich: Ich kann mir selber zusammenstellen welche Musik und welche Beiträge ich hören will. In EINEM Programm. Mit eigenem Sendeschema nur für mich. Also: Baukasten-Radio zum Selber-Machen!
Zugegeben: Bislang kann man bei DIY.fm nur aus dem Angebot des Schweizer Rundfunks auswählen. Denn eine SRG-Tochter hat das Projekt gestartet. (Erst bei genauem Hinschauen nach Hinweis von Michel Thalis entdeckt: Man kann wirklich beliebige Podcast-Feeds eingeben und programmieren!) Und In der Bedienung ist das Ganze noch nicht perfekt (dazu demnächst ein ausführlicher Erfahrungsbericht). Dennoch: Das Projekt hat zurecht bereits einen Prix d’Europa abgeräumt und ist ein Hoffnungsschimmer. Für Hörer UND Radiomacher!
Was genau ist und kann DIY.fm?
DIY.fm ist ein Projekt des Schweizer Rundfunks (SRG). DIY.fm steht für DoItYourself-Radio. Im Untertitel nennt sich das Projekt „Radio á la carte.“
Wer sich bei DIY.fm anmeldet, kann sich sein eigenes Radioprogramm zusammenstellen.
Das funktioniert so:
- Webstream eines beliebigen Radioprogramms als Grundlage wählen.
- Festlegen, wann (an welchen Tagen, zu welcher Uhrzeit) welche Podcasts und Beiträge aus dem Angebot des Schweizer Rundfunks in dieses Programm eingeblendet werden sollen.
- Play drücken.
Beispiel:
- Radio Swiss Jazz als Grundprogramm
- Für jeden Morgen um 7 Uhr 10 den SRG-Podcast „100 Sekunden Wissen“ bestellen.
- Für jeden Sonntag 10 Uhr die Kindersendung „Zambo“ programmieren.
- Die Sendung „Musik für einen Gast“ auf Mittwoch Abend legen (läuft eigentlich Sonntag Mittag)
Der Hörer kann sich so sein individuelles Radioprogramm basteln.
Alle Programmierungen lassen sich immer wieder ändern, umbauen, neu einstellen. Jeden Programmteil kann man – wenn’s grade nicht passt – überspringen oder auf später verschieben. Ums ganz zu verstehen: Am besten selber ausprobieren.
Spinnen wir die Sache mal zu Ende.
Stellen wir uns vor, in ein paar Jahren gibt es mehrere Baukasten-Radios im Netz (schließlich ist DIY.fm nicht das einzige Projekt mit Baukasten-Ambitionen). Das wären dann also Plattformen, auf denen Hörer aus tausenden Podcast-Angeboten im Netz auswählen können. Plattformen, auf denen sie diese Angebote mit beliebiger Musik aller Sender oder von Spotify, last.fm, dem eigenen Player mischen können.
Dann könnte ein Radiobeitrag aus Tübingen, in dem es um das geplante und umstrittene kostenlose Busticket für alle geht, mal laufen zwischen Beethoven und Bach, mal zwischen Deep Purple und Dire Straits, mal direkt nach „Der kleine Nils“ und mal direkt nach den Nachrichten von BBC1. Je nachdem, wer sich das Stück wo in seinen Stream gebaut hat.
Frei von allen Zwängen eines linearen Programms würde der Beitrag sein Publikum finden. Jenseits programm-definierter Zielgruppen. Unabhängig von Wohnort oder Alter.
Renaissance des Regionalen, Lokalen, der Spartenthemen?
Denn bleiben wir mal beim Lokalen. Nehmen wir an, ich höre gern Geschichten, die vor meiner Haustür spielen. In und um Tübingen. Dann muss ich bislang meinen Lokalsender einschalten. Und wenn mir da das Drumherum wie Nachrichten, Musik, Moderation, Anmutung nicht gefällt, hab ich Pech gehabt. Umgekehrt auch der Sender: Seine lokalen Stücke werden nicht gehört.
Gäbe es dagegen ein „Baukasten-Radio“, könnte ich als Hörerin einfach nur die Beiträge meines Lokalsenders abonnieren. Jeden Tag. Punktgenau. Denn einmal programmieren reicht. Idealerweise sogar mit Geo-Tag und genauer Verortung. Will heißen: Nur das, was in und 50 Kilometer um Tübingen spielt, soll rein. Und zwar exakt zwischen sieben und halb acht – dann, wenn ich frühstücke. Als Einblendung quasi ins laufende Programm – egal ob das ein anderer Sender ist oder der eigene Musikmix.
Lokales im Radio wäre dadurch plötzlich grenzenlos global und zeitlich unabhängig. Auch ein Ex-Tübinger, der jetzt in Hamburg lebt, kann lokale Berichte abonnieren – auf Sendeplätze, die ihm genehm sind.
Nicht nur für den lokalen und regionalen Radiojournalismus ist das eine Chance. Auch für für alle anderen Special-Interest-Themen, die um so mehr Publikum finden, je besser sie abruf- und verfügbar sind.
Lean forward – Lean back? Radio könnte beides in allen Abstufungen
Die Skeptiker unken: „Radio on demand und Podcasts – das gibt es doch alles schon. Und die Nachfrage ist mäßig, ja schrumpft sogar.“ Und das stimmt (siehe ARD/ZDF-Online-Studie 2012). Aber warum? Weil es so umständlich ist, Podcast für Podcast runterzuladen und jedes mal aktiv fürs Hören abspielen zu müssen. Da ändert auch eine Abonnement nichts dran.
Selbst eingefleischte Podcaster versuchen deshalb schon ihre Stücke als Stream anzubieten. Sie haben erkannt: Selbst entscheiden als Hörer ist schön, aber nicht jeden Tag. Denselben Weg geht DIY.fm. Hier kann man einmal auswählen, gelegentlich nachjustieren, und wenn man das passende Programm gebastelt hat, sich beliefern lassen. Auf die Art verbindet es aktives Bestimmen mit Sich-berieseln-lassen. Die Vorzüge des Radios als bequemes Nebenbei-Medium bleiben erhalten. Aber es wird individuell justierbar für jeden, immer und überall.
Aber ist das dann noch „Radio“?
Tatsächlich glauben viele Radiomacher, Radio sei nur Radio, wenn es linear live gesendet wird. Ein vom Hörer selbst gebastelter Stream sei damit nicht vergleichbar.
@radiomachen @WeiterWinkel Was da so gerade technisch rum experimentiert wird, ist dann nicht mehr Radio zu nennen!
— Inge Seibel (@IngeSeibel) October 20, 2012
Meinetwegen. Aber, wenn es irgendwann Menschen gibt, die das anstatt „Radio“ hören, dann muss uns Radiomacher das interessieren.
Musikstreaming macht noch kein Radio, oder? RT @radiomachen: P7Sat1-Tochter arbeitet am #Radio der Zukunft –in Schweden http://t.co/eZeXtThB
— Thomas Dürselen (@WeiterWinkel) October 20, 2012
@radiomachen Erfolgreiches Radio bietet emotionales Gesamtpaket. Eigenmix ist aufwendig und emotionsarm. Kommt vielleicht aufs Alter an :-)
— Thomas Dürselen (@WeiterWinkel) October 20, 2012
Ich finde: Diese Abgrenzungsdiskussion führt zu nichts. Sie ist ein theoretisches Gedankenspiel. Aber in der Praxis sind wir Radiomacher Audio-Spezialisten und wollen gehört werden, also müssen wir da sein, wo Menschen etwas hören. Und wenn manche uns eben lieber selbstbestimmt dann hören, wann sie wollen – So what?! Das werden wir nicht aufhalten. Denn wie schreibt Jan Eggers so treffend: „Junge Männer und Frauen [wollen beim Radiohören] ganz selbstverständlich weiterspringen – wenn möglich, ohne auf den Komfort eines analogen Programms zu verzichten.“ Wir müssen also lernen unsere Audio-Inhalte, an so viele Hörer wie möglich zu bringen, egal wie. Lassen wir doch die Hörer entscheiden. Das Baukasten-Radio wäre da in jedem Fall eine Chance. Selbst wenn wir das für emotionsarm halten.
Das ist nicht das Ende linearer Programme
Ich gebe den Kritikern ja recht. Und wer sich seinen eigenen Kanal auf DIY.fm zurecht gebastelt hat, wird es nicht bestreiten können: So ein Programm ohne Moderator, der das Ganze zusammenhält und freundlich durchs Programm führt, IST deutlich verhaltener in der Wirkung und meinetwegen „emotionsarm“. Aber es will eben nicht jeder Hörer und vor allem nicht andauernd große Emotionen im Radio hören. Vielleicht ja gerade, WEIL wir’s übertrieben haben mit dem stimmungsvollen Emo-Radio und es zu viele Präsentatoren gibt, die dauernd freudekreischendes Stimmungsmanagement machen müssen?
Mir macht mein DIY.fm-Stream, der einfach schön soft die Musik ausblendet und dann den jeweils anstehenden Beitrag startet, jedenfalls Freude. Lineares Programm hör ich trotzdem. Und DIY.fm beweist: Der Baukasten und lineare Programme ergänzen sich. Denn ich lasse mir meine Wunsch-Podcasts einfach in mein Lieblingsprogramm einblenden.
Und was wird aus den Programmchefs?
Professionelle Programmchefs wird das Radio trotzdem auch künftig brauchen. Dann allerdings nicht mehr nur fürs lineare Programm, sondern fürs Podcast- und Serien-Management. „Radio machen“ hieße dann nämlich auch: Passgenaue-Podcast-Pakete schnüren. Starke Rubriken finden. Einen guten Themenmix entwickeln. Dafür sorgen, dass Abonnenten unter den angekündigten Überschriften immer wieder DEN Nachschub bekommen, der ihnen gefällt. Und sicherstellen, dass Hörer die Radio-Angebote auch finden.
Klar: Bis dahin ist es noch ein weites Stück Weg. Aber am Ende würden das Radio und seine Macher neue Freiheiten finden und Chancen jenseits der Linearität. Endlich wäre auch das Radio ein flexibles Medium. Angekommen im Zeitalter des Internets und bei der „Generation Skip„. Ich glaube dran und freu mich drauf.
Abgesehen davon, dass ich nicht glaube dass ein Baukastenradio das konventionelle Radio ablösen wird (Radio ist so komfortabel, weil man eben NICHT herumjustieren muss, sich überraschen lassen möchte und unvorhersehbares „erleben“ möchte), wird es doch sicherlich einige Liebhaber geben. Doch: Wie soll das vermarktet werden? Was passiert, eingehen auf das Beispiel Lokalsender aus Thübingen, mit dessen Werbung – der Lokalsender liefert den redaktionellen Content, und investiert viel Geld in journalistische Arbeit. Wie kann sichergestellt werden, dass die gebuchte Werbung des Lokalsenders dann auch beim Hörer ankommt? Den wenn Sie das nicht tut, wer zahlt dann für den Content. Die Plattform?