(Gute) O-Töne sammeln, ist anspruchsvoller als man denkt.
Das wissen jetzt auch die Radionewbies aus meinem Einsteigerkurs an der Uni Tübingen. Ihre Erfahrungen. Meine Tipps.
- Teil 2:
- Was, wenn beim Interview um mich herum geredet wird?
- Was, wenn mein Gesprächspartner ahnungs- und lustlos ist?
- Was, wenn ich „Action-Aufnahmen“ machen will, die aber ziemlich laut sind?
„Bei den Interviews vor Ort haben die anderen Anwesenden im Hintergrund immer palavert. Und einer meiner Gesprächspartner hat dauernd mit so nem Stöckchen, das er in der Hand hatte, geklappert. Ich hab mich nix sagen trauen.“
Nur Mut. Ihr seid als Reporterin auch Regisseurin und Chefin im Ring. Ihr müsst gute Aufnahmen machen und dafür optimale Bedingungen schaffen. Wie die aussehen, können Eure Gesprächspartner nicht wissen, so lange Ihr es ihnen nicht erklärt. Man muss dabei ja nicht die Oberlehrerin geben, sondern einfach freundlich und höflich um Ruhe bitten. Und wers ganz soft machen will, verweist eben mit einem freundlichen Lächeln auf die Technik: „Entschuldigung, das Mikrofon ist sehr empfindlich. Wenn im Hintergrund geredet wird, ist Herr XY später ganz schlecht zu verstehen.“ / „Das Klappern ist dauernd zu hören.“
Übrigens: Als Anfänger findet man leichter in diese „Chef-Rolle“, wenn man die schon im Vorgespräch klar macht. Oder konkret: Wer schon im Vorgespräch erklärt, wie die Aufnahme abläuft und worauf es dabei ankommt („Es sollte keine Nebengeräusche geben“, „Sie werden nacheinander befragt“,…) der tut sich später leichter, das auch einzufordern.
„Wir wollten unseren Bootsbauer eigentlich in seiner Werkstatt befragen. Aber der wollte das nicht. Und als wir ihn zur Geschichte des Bootsbaus interviewt haben, wusste er kaum was dazu zu sagen. Am Ende sind wir gefrustet wieder abgezogen. „
Auch hier liegt das Geheimnis im Telefonat vorab. Denn O-Töne holen heißt nicht: „Da fahr ich jetzt mal hin und dann frag ich, was mir so einfällt und ich noch wissen muss.“ Vielmehr weiß man als Reporter schon vorher (zumindest ungefähr), was einen bei der Gesprächspartnerin erwartet. Will heißen: Man ruft nicht nur an um anzukündigen, dass man vom Radio ist und morgen für ein Interview vorbeikommt. „Bis dann.“ Sondern man fühlt schon mal vor. Man sucht einen Draht zum Gesprächspartner. Man klopft ab, ob er für den geplanten Beitrag wirklich der richtige ist. Besonders wichtig ist es, im Vorgespräch zu klären:
- Klingt die Person radiotauglich? Kann sie gut erzählen?
- Wozu kann der Mensch etwas sagen? Worüber reden?
- Bietet das Thema Momente, in denen „etwas passiert“?
- Kann ich als Radioreporterin etwas miterleben, was lebendige O-Töne verspricht?
Erst in so einem Vorgespräch zeigt sich, ob der Beitrag so wie man ihn geplant hat klappen kann. Im konkreten Fall wäre zum Beispiel klar geworden, dass dieser Bootsbauer nicht der richtige ist. Oder aber, dass man das Thema ändern muss.
(Die komplette Checkliste zur guten Beitragsvorbereitung und -planung in „Radio machen„, S. 64f. Mehr zur Frage, wie man das „richtige“ Thema eingrenzt außerdem ab S. 46.)
„Wir konnten mit unserem Gesprächspartner, einem Messerschmid, schlecht reden. Der war bei der Arbeit, das Hämmern sehr laut. Und dann flogen da auch noch die Funken. Wir mussten Abstand halten. Jetzt klingen die O-Töne wie von sehr weit weg.“
Grundsätzlich ist es eine gute Idee, Gesprächspartner direkt bei ihrer Arbeit zu befragen. Quasi nebenher. Sie kommen sich dann weniger ausgefragt vor. Sie haben das Gefühl einfach zu machen, was sie immer machen. Und dem Publikum vermitteln die Antworten später den Eindruck, mittendrin und dabei zu sein.
Dennoch müssen die O-Töne verständlich bleiben. Das Gesagte darf nicht in den Nebengeräuschen untergehen. Und die Geräusche dürfen auch nicht ablenken. Deshalb muss man in so einem Fall unbedingt schon vor Ort kontrollieren, wie die Aufnahmen klingen. Am besten per Kopfhörer. (Viele Kollegen raten übrigens dazu, bei O-Ton-Aufnahmen immer Kopfhörer zu tragen. Ungeübte GesprächspartnerInnen irritiert das allerdings. Ich mache das deshalb nur als gezielte Kontrolle). Außerdem sollte man immer einen Blick auf den Aufnahmepegel haben. Sollte sich der bei einzelnen „Geräuschtattacken“ (zum Beispiel beim Hämmern) überschlagen, ist das „Nebenher-Aufnehmen“ sinnlos.
Die Alternative ist dann eine zweigeteilte Aufnahme. Erst die Antworten, dann die Arbeitsgeräusche und die Atmo. Beides lässt sich unabhängig voneinander genau pegeln und später in der Produktion zusammen mischen.
Übrigens: Bei der Geräuschkontrolle vor Ort darf man sich nicht selber in die Tasche lügen. Was einem beim gezielten Abhören noch irgendwie passabel und verständlich vorkommt, ist in Wahrheit oft schon nicht mehr sendetauglich. Denn beim Radiohören lauschen viele Menschen deutlich unaufmerksamer, als wir „Kontroll-Reporter“. Schon allein, weil nebenher nicht selten noch die Kaffeemaschine blubbert oder hinter einem gehupt wird. Also: Verständlichkeit geht vor.
Übrigens: „Mikro hinhalten reicht nicht- Teil 1“ gibts hier.