Müssen Radio-Nachrichten sein, wie sie sind?
Kollege Christoph Ebner, Nachrichtenchef beim SWR in Baden-Baden, hatte heute bei den Tutzinger Radiotagen die Lacher auf seiner Seite.
Es ging um Hörverständlichkeit. Also um die Frage, wie Nachrichten geschrieben und gesprochen sein sollten, damit beim Hörer auch viel hängen bleibt. Und die Radiomacher sollten in einem Workshop selber mal ausprobieren, wie sie’s besser machen können. Die ersten Anregungen dafür bekamen sie – eben – von Christoph Ebner. Auf wunderbar pointierte Art. Schön zu hören. Und schön zu lesen. (Hab mir die Mühe gemacht, es abzutippen)
Und bitte: Denkt Euch ein lachlauniges 90-köpfiges Auditorium dazu! Have fun:
Hamburg. Die internationalen Mineralölkonzerne haben erneut an der Preisschraube gedreht.
Preisfrage: Haben Sie eine Preisschraube an Ihrem Wagen? Ich bin Opel-Fahrer und daher Mitleid gewöhnt. Aber nicht mal Opel bietet Preisschrauben als Zubehör an. Preisschrauben gibt es nur in der geschraubten Sprache schlecht formulierter Nachrichten.
Die Nachricht heißt also besser: Sprit ist teurer geworden. Und die Spitzmarke Hamburg hilft uns auch nicht weiter.
Denn: Hand aufs Herz – wann haben Sie zuletzt in Hamburg getankt? – Hamburg als Spitzmarke? Eher Humbug.
Die Welt ist kompliziert. Keine Frage. Und mit Sätzen, mit Meldungen, mit Sendungen, die sich unwahrscheinlich kompetent-kompliziert anhören, machen wir sie noch schwieriger.
Wer hingegen einfach formuliert, muss Mut haben und Mut zeigen. Denn er läuft Gefahr, dass ihm vorgeworfen wird, primitiv zu formulieren – vor allem von den eigenen Kolleginnen und Kollegen.
Und: Wir wollen Informationen richtig wiedergeben. Das macht es noch schwieriger, einfach zu formulieren.
Wer sich diesen Gefahren nicht aussetzen will, nimmt einfach einige Begriffe, die jeden Tag durchs Land geistern: Der Fiskalpakt, der Vertrag von Maastricht, die Schuldenbremse, der Vermittlungsausschuss, die Kommunalverfassung, die Fünf-Prozent-Hürde, das Quorum – beliebig ergänzbar.
Oder er lässt in einer Meldung Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut mit Dirk Meyer von der Helmut-Schmidt-Universität darüber streiten wie sinnig oder unsinnig Eurobonds sind. Dann weiß der Hörer eines: Dass er nichts weiß.
Dem Hörer kommen die Tränen. Nicht weil er am Radio verzweifelt. Weil er Zwiebel schneidet! Das ist eine keineswegs unübliche Beschäftigung beim Radiohören. Denn die Radiogemeinde versammelt sich nicht nach der Lektüre mehrere Tageszeitung zur weiteren Informationsaufnahme an den Geräten. Sie schneidet Zwiebeln, kocht Spaghetti, schaltet vom vierten in den fünften Gang, portioniert Tabletten für Herz-Patienten oder versucht mühevoll, die Zahn-Zwischenräume zu reinigen. Und in der Kulturmeldung höre ich zur selben Zeit, wie ein Herr Friedmann nach „hellbraunen Assoziationen“ im neuen Werk von Thilo Sarrazin sucht. Und ich höre, wie die fünf Tore im Sonntagsspiel der Fußball-Bundesliga fallen. Eigentlich in 90 Minuten. In den Nachrichten aber in einem Satz. Jeweils ausgestattet mit Name, Vorname und geographischer Herkunft der glücklichen Torschützen.
In der Regionalmeldung höre ich, dass der Glan Hochwasser führt. Bisher wusste ich nicht,dass der Glan überhaupt Wasser führt, geschweige denn wohin.
Deshalb: Weniger voraussetzen, Meldung nicht mit Inhalten überfrachten, mehr erklären. Das geht nur sprachlich.
Ich werde gefragt: „Machen Sie nur Nachrichten?“ Antwort: „Wenn Sie ’nur‘ im Sinne von ‚ausschließlich‘ verstehen? Ja.“ Radionachrichten, die ins Ohr gehen, machen Mühe. Denn sie setzen sich komplett von dem ab, was uns als Ausgangsmaterial vorliegt. Sprachlich nicht inhaltlich.
Christoph Ebner
Und jetzt gibt’s auch noch auf die Schnelle – nur mit kleinem Reportergerät im Zimmerchen aufgenommen – das Audio von Christoph:
Die Darstellungen von Herrn Ebner kann ich so nicht teilen. Aus meiner Sicht gelingt es der zentralen SWR-Nachrichtenredaktion gerade nicht, Meldungen aus Rücksicht auf zwiebelnschnippelnde oder hochschaltende oder zähneputzende Hörer auf ihren wesentlichen, aber verständlichen Wesenskern einzudampfen. Vieles kommt mir stattdessen als Vergewaltigung der deutschen Sprache und ihrer Grammatik vor.
Auf Präzision im Ausdruck oder faktische Korrektheit wird zu wenig Rücksicht genommen. Da werden windige Politikerbehauptungen gerne als unmarkierte direkte Rede in Indikativsätze gepackt, anstatt den Inhalt des gesagten knapp in einem Relativsatz oder Konjunktiv zusammenzufassen, mit kurzer Angabe des Urhebers. Das wäre nicht nur präziser, sondern auch verständlicher. (Ja, notwenige Konjunktive zu Indikativen zu „glätten“, macht die Sprache UNverständlicher.) Und wenn doch mal Konjunktive verwendet werden, dann um Sachverhalte zu schildern, die objektiv unstrittig sind, wie zum Beispiel letzten Freitag in der Meldung zum Abbruch der Bundestagssitzung.
Oder es werden Fachbegriffe wie der Internationale Strafgerichtshof, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der Gerichtshof der Europäischen Union, der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien oder der Internationale Seegerichtshof unter dem Begriff „Internationaler Gerichtshof“ zusammengefasst, dabei steht der Begriff „Internationaler Gerichtshof“ selbst für ein eigenes Gremium.
Ähnliches gilt für die europapolitische Berichterstattung: den Europäischen Rat, den Rat der Europäischen Union, die Europäische Kommission, die Euro-Gruppe, das Europäische Parlament oder den Rat der Regionen einfach unter „Brüssel“ zusammenzufassen, gibt dem Hörer keine Möglichkeit, die tatsächlichen Wirkweisen in der Europapolitik zu verstehen.
Und auch das Argument vom uninformierten und uninteressierten Nebenbeihörer greift daneben, selbst wenn man das den Hörern der „leichten“ SWR-Wellen unterstellen würde (was ich nicht tue). Denn inzwischen hat jede Welle des SWR tagsüber seine eigenen Nachrichten. Die Landesprogramme auf 1 und 4 senden ihre eigenen Redakteursaufsager, für SWR3 und Dasding durchlaufen die Meldungen einen eigenen Vereinfacher (wobei in der SWR3-Nachrichtenredaktion meines Erachtens weniger Fehler passieren als in der Zentralredaktion).
Die Programme, auf denen die zentralen Meldungen tagsüber noch zu hören sind, sind das Kulturprogramm und (das im übrigen völlig unterfinanzierte) SWR-Info. Wenn die zentrale Nachrichtenredaktion selbst den Hörer dieser Programme nicht zutraut, einen einfachen Nebensatz oder eine indirekte Rede oder auch mal einen Fachbegriff, der täglich in der Zeitung steht, zu verstehen, wofür gibt es überhaupt das Gebührenprivileg gegenüber dem Privatfunk?
Beste Grüße von einem, der das öffentlich-rechtliche System immer verteidigt hat, und deswegen seine Zerstörung von innen nicht hinnehmen kann.
Eine verständliche Sprache, die vielen Menschen den Zugang zu Informationen und die Teilhabe am politischen Geschehen erleichtert oder ermöglicht, wird das öffentlich-rechtliche System nicht zerstören. Im Gegenteil!
Im Übrigen ist sehr interessant, dass die SWR3-Nachrichten weniger Fehler haben sollen als die „Zentralnachrichten“. Beide Sendungen kommen aus einem Team.
ceb
Übrigens: Zum Thema Verständlichkeit und einfache Sprache gibt es hier im Blog schon einige Hinweise. Besonders hilfreich: Die Ideen des Netzwerks “Leichte Sprache”.
Wenn News, dann 104.6 RTL in Berlin. Wahnsinns Drive, Dramatik und sehr einfache Darstellung der Ereignisse. Und auf Englisch: die Nachrichten von Capital FM in London. Ein bis zwei Meldungen pro Nachrichtensendung zur vollen Stunde, die dennoch ein Gefühl von persönlicher Teilhabe am Geschehenen vermitteln. Dagegen sind die News vom SWR (und der öffentlich-rechtlichen Sender bei uns) zum Gähnen.